STRENGE + SPIEL
Nachruf auf Hubert Spierling, 1925 – 2018

Kreuz, Acryl auf Leinwand, 72 x 84 cm

Der am 6. Juli 1925 im sauerländischen Bösperde bei Menden geborene und seit 1949 in Krefeld lebende und arbeitende Hubert Spierling gehört zu den herausragenden Vertretern der bundesdeutschen Nachkriegskunst. Neben anderen, meist im Rheinland wirkenden Künstlern wie Georg Meistermann, Ludwig Schaffrath, Joachim Klos, Jochem Poensgen, Wilhelm Buschulte und Johannes Schreiter leistete Spierling seit den 1950er Jahren einen gewichtigen Beitrag zum künstlerischen Weltruf der modernen deutschen Glasmalerei, die im Zuge des Wiederauf- und Neubaus zahlloser Kirchen und Profanbauten einen beispiel­losen Aufschwung erlebte.

Hubert Spierlings imposantes Werkverzeichnis umfasst Werke der Glasmalerei an nahezu 200 Orten. Hinzu kommt ein ausgedehntes Werk freier Malerei, das leider weit weniger bekannt ist. Auch auf dem Gebiet der Wandmalerei und der Textilkunst – Paramente, liturgische Gewänder, monumentale Wandbehänge – hat Hubert Spierling Herausragendes geschaffen.

Prägende Jahre seiner künstlerischen Ausbildung erlebte Hubert Spierling an den Werkkunstschulen in Düsseldorf und Krefeld, die in den frühen Nachkriegsjahren die Ausbildungstradition der Werkschulbewegung der 1920er Jahre und des Bauhauses wieder aufnahmen und fortführten. Hubert Spierling hat nicht nur zahlreiche Fenster für bedeutende mittelalterliche Kirchen wie den Limburger Dom, die Abteikirche Maria Laach oder den St. Patrokli-Dom in Soest geschaffen, sondern auch Fenster für Profanbauten. Das große Bogenfenster in der Empfangshalle des Krefelder Hauptbahnhofs von 1996 ist dafür weithin bekanntes Beispiel. Auch für Meisterwerke des modernen Kirchenbaus entwarf Spierling Glasfenster und große Glaswände, so für Bauten von so bedeutenden Architekten wie Gottfried Böhm, Hans Schilling, Hans Schwippert und Emil Steffann.

Spierling, Träger der Thorn-Prikker-Medaille, orientierte sein malerisches und glasmalerisches Schaffen in der Zeit nach dem II. Weltkrieg wie seine Generationsgenossen an der internationalen Moderne, vor allem der zeitgenössischen Kunst Frankreichs. Lyrische Abstraktion, gestisches Informel und Farbfeldmalerei sind die Pole, zwischen denen sich seine Kunst bewegte. In dem für ihn so typischen konstruktiv-abstrakten Stil mit oft kühner Farbstellung und dem zeichnerisch vibrierenden Stil der Bleiführung schuf er einen unverkennbaren Personalstil, gleichermaßen streng wie spielerisch.

Seine letzten größeren Werke schuf Hubert Spierling für die Konventskirche in Hüls bei Krefeld und für Kirchen im mitteldeutschen Raum. Die für die gotische Kirche in Questenberg (Harz) und für die romanische Kirche in Grimme zwischen Magdeburg und Berlin geschaffenen Fenster gehörten zu den Höhepunkten der großen Übersichtsausstellung zur deutschen Glasmalerei der Gegenwart, die das im Schatten der Kathedrale gelegene Centre International du Vitrail 2012 ausrichtete und die kurze Zeit später auch im Naumburger Dom gezeigt wurde.

Hubert Spierling ließ sich im hohen Alter durch Krankheit an kontinuierlicher künstlerischer Tätigkeit, Bauberatungen und Werkstattterminen nicht hindern, wobei er seine schwere Gehbehinderung mit geradezu akrobatischer Verbissenheit überwand. Den Einbau seiner vielbewunderten Chartreser Ausstellungsfenster am Bestimmungsort konnte er leider nicht mehr mit eigenen Augen sehen. In der späten Schaffensphase entstand allerdings in kreativen Wellen eine Fülle von malerischen Arbeiten auf Papier, deren Leichthändigkeit und Frische deutlich macht, dass es Hubert Spierling schlechterdings nicht möglich war, „Alterswerke“ zu schaffen. Noch die letzten Blätter wirken wie leichtes Spiel. Diesen bildnerischen Schatz kann die Zukunft heben.

Hubert Spierling, ein Großer der deutschen Nachkriegsmalerei, starb am 28. April in seinem Krefelder Wohn- und Atelierhaus in seinem 93. Lebensjahr. Sein Werk wird weiterleuchten.

Holger Brülls (Halle/Saale)

Literaturhinweise: Holger Brülls/Dorothee Mann/Anna Ulrich (Hg.): Hubert Spierling. Malerei und Glasmalerei, Paderborn 2010; Ders.: L’art contemporain du vitrail en Allemagne/Zeitgenössische Glasmalerei in Deutschland, Hg. Centre international du Vitrail/Chartres (Katalog der Ausstellung vom 21. April 2012 – 30. September 2013), Chartres 2012; Holger Brülls/Mathias Köhler: Baum des Lebens. Die spätgotische Dorfkirche St. Mariä Geburt in Questenberg und ihre neuen Fenster von Hubert Spierling, hg. vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. (Treffpunkt Denkmal Nr. 4), Halle 2017; Große Abb. oben: St. Hubertus, Krefeld, 1960, Ausschnitt